Predigt über 2. Korinther 6,1-10 zum Überfall von Wladimir Putin auf die Ukraine


am Sonntag Invokavit, dem 06.03.22

Kyrie-Rufe zu Beginn des Gottesdienstes:

Barmherziger Gott, Krieg in der Ukraine, Menschen werden getötet, sind in Not, leiden! Unzählige sind auf der Flucht, von Menschenwürde keine Spur. Wir klagen Dir dies entsetzliche Elend, wir rufen und singen: Kyrie eleison (EG 178.9; orthodoxe Liturgie aus der Ukraine)

Barmherziger Gott, Wir verstehen nicht, warum Menschen einander so Schreckliches antun können, wir verstehen nicht, warum die Humanität auf der Strecke bleibt, wir verstehen nicht, warum trotz der gemeinsamen Sprache stattdessen die Waffen sprechen. Wir klagen Dir unser Nichtverstehen, wir rufen und singen:

Barmherziger Gott, Furcht und Schrecken haben von uns Besitz ergriffen, es fällt schwer, klare Gedanken zu fassen, Hilflosigkeit und Ohnmacht machen uns zu schaffen, einige von uns finden auch in der Nach keine Ruhe. Wir klagen Dir unsere Ängste und Befürchtungen, wir rufen und singen:

 

Predigt:

Anfechtung, liebe Gemeinde, das ist für mich das Wort der Stunde. Anfechtung. Dieses altmodische Wort beschreibt sehr gut, wie ich mich gerade fühle. Ich sehe und höre in den Medien von Ereignissen aus der Ukraine, die für mich wie ein Schlag ins Gesicht sind. Eine An-Fechtung eben. Nicht nur politische Ereignisse fechten uns an; auch der Tod eines uns nahestehenden Menschen bewirkt Anfechtung. Die Erfahrung des Bösen ficht uns an wie auch Unglück. Gesundheitliche Beschwerden können uns anfechten genauso wie Schwierigkeiten im Alltag. –

Vielleicht könnte man ja diesen Sonntag zu Beginn der Passionszeit auch als den Sonntag der Anfechtung beschreiben. Das Evangelium (Mt 4,1-11) erzählt, wie der Teufel versucht hat Jesus eine Falle zu stellen. Er hat ihn sozusagen verdeckt angefochten, um ihn zu Fall zu bringen…

Zu Fall kommen, sich beim Stürzen etwas brechen, aus der Bahn geschleudert werden, das sind keine Perspektiven für uns. Daher: Was hilft dagegen, was hilft in der Anfechtung? –

Wir fragen nach bei einem Experten für Anfechtung, nämlich bei dem Apostel Paulus, wir haben den Predigttext gehört: Paulus ist angefochten, weil die Gemeinde in Korinth, die er gegründet hat, in Gefahr ist zu zerbrechen. Auf der einen Seite befinden sich Menschen, die für die ganz tollen Superapostel schwärmen, die viel schöner, smarter und kraftvoller sind als der schwächliche Paulus. Und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die von einer Depression erwischt worden sind: nach dem Motto, man kann nichts machen, also bitte: nichts sehen, nichts hören, nichts tun.

Paulus erinnert an das Christusgeschehen als an das schlechthinnige Ereignis von Versöhnung. Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, schreibt Paulus im vorhergehenden Kapitel.  In Christus sein, das ist eine Gnade Gottes. Es kann doch nicht sein, dass dies für die Korinther ohne Folge ist. Oder um es mit den Worten des Paulus zu sagen: Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.

Paulus zitiert die Grundlage für das gemeindliche Leben, die Heilige Schrift. Die Anfechtung lehrt auf das Wort der Schrift zu achten. Und daraus ergibt sich: Jetzt ist es an der Zeit, Glaube, Liebe und Hoffnung zu leben! Jetzt ist nicht die Nacht der ohnmächtigen Hilflosigkeit, jetzt ist der Tag des Heils! –

Aber sollte Paulus dann nicht mal in der Öffentlichkeit einen richtigen Kracher landen und die Superapostel übertrumpfen, fragen sich womöglich seine Fans in Korinth. Paulus antwortet darauf glatt mit Nein: Wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes.

In der Spur bleiben. Als Dienerin oder Diener Gottes treu das Seine oder Ihre verrichten. Darum geht es. Das verleiht Standfestigkeit in aller Anfechtung, meint Paulus. Im ersten Moment klingt das wenig aufregend. Fast ein wenig langweilig. Aber das ist es ganz und gar nicht. Denn Paulus zählt im Folgenden Bedingungen und Umstände auf, unter denen er versucht sich als Diener Christi zu erweisen: Die Aufzählung nimmt die ganzen Verse 4-10 ein. Kein denkbarer Höhepunkt von Erfolg und keine tiefstmögliche menschliche Demütigung oder Niederlage bleibt da ausgespart! Diese Aufzählung von Widersprüchen und paradoxen Aussagen, die ist dann allerdings doch ein christliches Ausrufezeichen geworden, das nicht mehr in Vergessenheit geraten ist: Als die Sterbenden und siehe wir leben, als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die die nichts haben und doch alles haben.

Christliche Existenz bleibt nicht von Leiden und Anfechtung verschont, meint Paulus, aber die Verheißung ist, dass sie sich in Leiden und Anfechtung bewährt! An einer späteren Stelle im 2. Korintherbrief berichtet Paulus, dass Gott zu ihm bei einem schweren Anfall von Krankheit gesagt hat: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in Schwachheit. – Es ist diese Aussage gewesen, die der Theologin Dorothee Sölle nach einer tiefen Lebenskrise ganz unerwartet großen Auftrieb gegeben hat…

Sich als Dienerin oder Diener Christi erweisen, im griechischen Urtext ist da von Diakonie die Rede! Und das kann auch ganz einfach Tischdienst bedeuten. Als Christ zu leben ist keine Überforderung! –

Eine Geschichte fällt mir ein. Sie geht so:

Ein alter Mann geht bei Sonnenuntergang den Strand entlang. Er beobachtet vor sich ein kleines Mädchen, das Seesterne aufhebt und ins Meer wirft. Er holt sie schließlich ein und fragt sie, warum sie das denn tue. Das Mädchen antwortet: „Die gestrandeten Seesterne sterben, wenn sie bis Sonnenaufgang hier liegen bleiben.“ „Aber der Strand ist kilometerlang und tausende Seesterne liegen hier. Was macht es also für einen Unterschied, wenn Du Dich abmühst?“, fragt der alte Mann. Das kleine Mädchen blickt auf den Seestern in ihrer Hand und wirft ihn in die rettenden Wellen. Sie schaut den alten Mann an und sagt: „Für diesen hier macht es einen Unterschied.“ –

Ich bete mit einem alten Liedvers:

Jesus Christus,

erkenne mich mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an.

Von dir Quell aller Güter, ist mir viel Guts getan;

Dein Mund hat mich gelabet mit Milch und süßer Kost,

dein Geist hat mich begabet mit mancher Himmelslust.

 

AMEN

P. Dr. Bogislav Burandt