Predigt über Prediger 11,9-12,7


am 20. Sonntag nach Trinitatis am 17.10.2021 in der Lukaskirche aus Anlass der Visitation

11 9So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein in deinen jungen Tagen. Tu, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, dass dich Gott um das alles vor Gericht ziehen wird. 10Lass Unmut fern sein von deinem Herzen und halte das Übel fern von deinem Leibe; denn Jugend und dunkles Haar sind eitel.

12 1Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 2ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – 3zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 5wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – 6ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. 7Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Prediger 11,9-12,7 (Lutherbibel)

Liebe Gemeinde, wie wollen wir leben?

Diese Frage beschäftigt uns immer wieder – unser ganzes Leben lang: Wie wollen wir leben? Diese Frage stellt sich nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für uns als Gemeinschaft in der Lukasgemeinde und darüber hinaus für unser ganzes Land. Die Frage „wie wollen wir leben?“ hat tagespolitische Brisanz. Gerade erst haben wir von den Vorsitzenden von SPD, Grünen und FDP eine ganze Reihe Aussagen dazu gehört wie z.B.: Schnellerer und besserer Klimaschutz, höherer Mindestlohn, keine Steuererhöhungen. 

Wie wollen wir leben? Damit hat sich intensiv zur Zeit des Alten Israel auch Kohelet beschäftigt. Dieser Lehrer der Weisheit hatte vornehmlich jüngere Menschen im Blick. Ihm kam es darauf an, Orientierung zu vermitteln, damit die Gabe des Lebens nicht verschleudert wird. Er möchte Menschen davor bewahren, bewusstlos und damit sinnlos durchs Leben zu irren. 119So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein in deinen jungen Tagen. Tu, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, dass dich Gott um das alles vor Gericht ziehen wird.

Natürlich: Eine Ansprache allein an Jungs ist Unfug, entspricht nicht unserer Gemeinschaft in Jesus Christus in der es gilt: Hier ist nicht Mann noch Frau, Ihr seid alle allesamt einer in Christus Jesus (Gal 3,28). Mit anderen Worten: „Mädels, freut euch des Lebens!“

Kohelet eröffnet den Jugendlichen Freiheit. Gegen alle Ängste und Bedenken vor diesem oder jenem macht er Mut das Leben aktiv anzugehen, eigene Vorlieben zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. – Sicher. Freiheit braucht Gestaltung und Orientierung. Kohelet weist auf Gott hin, ohne aber Gebote, religiöse Vorschriften oder Anderes im Einzelnen zu erwähnen. Das Vorzeichen der Freiheit, zu dem er junge Menschen ermutigt, bleibt also ungeschmälert bestehen. Ich denke, der Vers 9 aus dem 11. Kapitel meint: Setzt eure Lebensvorstellungen in die Tat um, auch Blödsinn, wenn ihr es vor Gott verantworten könnt! 

Die Verantwortung gegenüber Gott ist für die Lebensführung zentral. Denn der alleinstehende Satz, „tu, was du willst“, ist, wie wir neulich im Gesprächskreis festgestellt haben, das Motto der Teufelsanbeter, der Satanisten. 

Orientierung an Gott ist für Kohelet aber mehr als nur eine Leitplanke auf der Autobahn: 121Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«. Besinne dich auf Gott deinen Schöpfer! Von ihm kommt Dein Leben her! Gerade dich hat Gott gewollt, also ist er deine Kraftquelle! Dies will Kohelet den Menschen nahebringen.

Offensichtlich ist Kohelet ein klarer Befürworter von Kindergottesdienst, Konfirmandenarbeit und Religionsunterricht, wenn er die Kontaktaufnahme mit dem Schöpfer gerade der Jugend ans Herz legt. Wenn ich als Kind oder Jugendlicher Vertrauen zu Gott geschöpft habe, dann trägt mich das, selbst wenn die bösen Tage kommen: mit Jahren, die mir nicht gefallen.

Auch die Älteren sollen nach Meinung von Kohelet ihr Leben genießen und vor Gott verantworten. Aber ihr Leben gestaltet sich anders als das der Jugend. – Um das zu verdeutlichen bedient sich Kohelet verschiedener Bilder, gebraucht er Poesie. Hugo von Hofmannsthal sagte einmal: „Poesie ist fühlendes Denken, denkendes Fühlen.“ 

Dies führt Kohelet uns vor in Kapitel 12, in den Versen 2-6. Er beschreibt in dem Bild vom Haus ab Vers 3 das Nachlassen der Körperkräfte: zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern, - die Arme werden im Alter schwach; am Tag, da die Starken sich krümmen, - die Beine versagen ihren Dienst; und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, - Zähne gehen verloren und können das Essen im Mund nicht mehr zermahlen; finster werden, die durch die Fenster sehen, - die Sehkraft der Augen nimmt ab; die Türen an der Gasse sich schließen, - die Ohren verlieren die Kraft zum Hören; die Stimme der Mühle wird leise - Sprechen und Singen nehmen in ihrer Lautstärke ab. 

Eine Bildergalerie breitet Kohelet vor uns aus. Und genauso wie ein Gemälde nicht durch einen sprachlichen Text in seiner Aussage ersetzt werden kann, genauso wenig können wir die Bilder Kohelets in den Versen 2-6 vollständig entziffern. –

Immerhin ist deutlich: Es geht um böse Tage, mit Jahren, die einem nicht gefallen: die Deutung auf Menschen, denen die Last des Alters drückend geworden ist, liegt nahe. Aber gegen die Winterschilderung in Vers 2 [so zumindest die Forschung], gibt es mit einem Male Frühlingsstimmung in Vers 5 mit dem Blühen des Mandelbaums, mit der Heuschrecke und dem Hinweis auf das Aufbrechen der Kapernblüte, bevor folgendes geschieht. Der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse.

Der Mensch stirbt am Ende. Gerade mit Blick auf den Tod ruft Kohelet dazu auf, das Leben zu genießen. Auf seine Art, so denke ich, möchte Kohelet den Menschen nahebringen: Das Lebensende ist kein schreckliches Nichts. Dafür vier Belege aus dem Text:

Zum einen gibt es beim ihm ein hebräisches Wortspiel: Da haben die Grube (bor), in die man den Toten legt, und der Schöpfer (borae) des Lebens dieselben Buchstaben!

Dann gibt es nicht nur die Frühlingsstimmung, sondern auch die kostbaren Materialien, silberner Strick und goldene Schale, in Vers 6.

Kohelet spricht auch in Vers 5 – hier müssen wir die Lutherbibel korrigieren – von dem Hingehen des Menschen „in das Haus seiner Ewigkeit“.

Und schließlich gibt es durch den Vers 7 eine genaue Entsprechung zum zweiten Schöpfungsbericht: Dort hatte Gott den Menschen aus Staub geschaffen und ihm den Odem des Lebens eingeblasen. Hier kehrt der Vorgang sich um. Der oder die Verstorbene landet wieder bei Gott dem Schöpfer! 

Bei Martin Luther findet sich in dessen 2. Psalmenvorlesung eine Passage, die ähnlich klingt. Luther schreibt: „Wohin kann der gelangen, der auf Gott hofft, wenn nicht in sein eigenes Nichts? Wohin aber soll der gehen, der ins Nichts geht, wenn nicht dorthin, wo er hergekommen ist? Er ist aber aus Gott und seinem eigenen Nichts gekommen, weshalb der in Gott zurückkehrt, der in sein eigenes Nichts zurückkehrt.“ (Übersetzung nach Bernhard Lohse, Luthers Theologie, Göttingen 1995 S.230 aufgrund von AWA 2,305,20-23)

Wie wollen wir leben, liebe Gemeinde, wenn die Möglichkeit unseres persönlichen Willens stark eingeschränkt ist? Kohelet möchte mit seiner Bildergalerie vom Alter mit schwerer Belastung und mit seiner Schilderung von Sterben und Tod uns Mut machen auf dem Weg zu bleiben. Auf dem Weg hin zu Gott unserem Schöpfer!

Zuzugeben ist: Christliches Verhalten und christliche Hoffnung geht über das hinaus, was Kohelet in seinem Buch sagt. Aber nachdenken- und diskutierenswert sind seine Überlegungen allemal.

Freude am Leben, Gottes Zuwendung zu uns, Vertrauen auf ihn bis zuletzt.

Ich schließe mit einem Gedicht von Hanns Dieter Hüsch:

 

Wir alle sind in Gottes Hand

Ein jeder Mensch in jedem Land

Wir kommen und wir gehen

Wir singen und wir grüßen

Wir weinen und wir lachen

Wir beten und wir büßen

Gott will uns fröhlich machen.

 

Wir alle haben unsre Zeit

Gott hält die Sanduhr stets bereit

Wir blühen und verwelken

Vom Kopf bis zu den Füßen

Wir packen unsre Sachen

Wir beten und wir büßen

Gott will uns leichter machen.

 

Wir alle haben unser Los

Und sind getrost auf Gottes Floß

Die Welt entlang gefahren

Auf Meeren und auf Flüssen

Die Starken mit den Schwachen

Zu beten und zu büßen

Gott will uns schöner machen.

 

Wir alle bleiben Gottes Kind

Auch wenn wir schon erwachsen sind

Wir werden immer kleiner

Bis wir am Ende wissen

Vom Mund bis zu den Zehen

Wenn wir gen Himmel müssen

Gott will uns heiter sehen.

 

AMEN

P. Dr. Christian Bogislav Burandt