Predigt über II. Tim 1,7-10


am 16. Sonntag nach Trinitatis den 27.9.2020

7 Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. 8 Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn und auch nicht meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit mir für das Evangelium! Gott gibt dazu die Kraft: 9 Er hat uns gerettet; mit einem heiligen Ruf hat er uns gerufen, nicht aufgrund unserer Taten, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde; 10 jetzt aber wurde sie durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart. Er hat den Tod vernichtet und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium"

Liebe Gemeinde,

die Lage damals war nicht brillant. Rettende Alternativen waren nicht in Sicht. Es gab keine Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Situation zu verbessern. 

Ich meine die Lage damals zur Zeit des Paulus. Der Apostel Paulus befand sich in Gefangenschaft in Rom. Zwar konnte er Gäste empfangen und Briefe schreiben. Er bekam auch Unterstützung von Gläubigen vor Ort. Aber grundsätzlich war seine Situation hoffnungslos. Mit der Hinrichtung musste er rechnen. Es gab absolut keine Aussicht, dass seine Gefangenschaft enden könnte und der Kaiser ihn begnadigen würde. Zumal der Kaiser damals den Namen „Nero“ trug und immer stärker menschenverachtende Züge an den Tag legte: Seine Ehefrau hatte er zu der Zeit bereits töten lassen. 

Paulus hätte allen Grund gehabt verzweifelt zu sein. Stattdessen besinnt er sich auf das Wesentliche. Und er schreibt davon einen Brief an einen seiner wichtigsten Mitarbeiter: an Timotheus! 

Die Botschaft von Jesus Christus, der mit uns ins Leiden gegangen ist, der für uns gekreuzigt und für uns von den Toten auferstanden ist, sie ist das Wesentliche. Egal wie es um die eigene Situation bestellt ist, Paulus möchte dies Vermächtnis an Timotheus und damit an alle Christen weitergeben. Jesus Christus, ist der von Gott gesandte Erretter. Er hat „dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“.

Auf seine Weise erzählt davon das Evangelium, das wir gehört haben, die Auferweckung des Lazarus (Johannes 11). Jesus Christus ist dank Ostern in Wahrheit der Retter und Heiland der Menschen, römische Kaiser, die diesen Titel beanspruchen, sind es nicht. 

Dabei ist klar: Die frohe Botschaft von Jesus Christus, das Evangelium, lässt sich nicht an den eigenen Umständen ablesen oder gar bewahrheiten. Aber diese Botschaft ist wirksam. Sie hat sich dem Paulus bekannt gemacht; ohne dass er sie verdient hätte oder gar sie sich selber erarbeitet hätte. „Gott hat uns selig gemacht und berufen nach seinemRatschluss“, ruft Paulus dem Timotheus und uns allen zu. 

Die Lage vor einem halben Jahr war nicht brillant. Rettende Alternativen waren nicht in Sicht. Es gab keine Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Situation zu verbessern. 

Ich meine damit die Corona-Situation vor ungefähr sechs Monaten. In einer Talkrunde im Fernsehen saßen Expertinnen und Experten beieinander und diskutierten. Das Problem dabei war: Es gab kaum Erkenntnisse und eigentlich nicht viel zu sagen: Über das Corona-Virus war nur sehr wenig bekannt, Bilder aus dem Ausland von Särgen mit Verstorbenen verstörten und machten Angst, das gesellschaftliche Leben war komplett lahmgelegt. Alles war geschlossen. Die Expertenrunde im Fernsehen hatte sich schon fast selber in eine Depression hineingeredet, als plötzlich jemand sagte, er hätte in Hamburg einen Spruch an der Wand gelesen: An einem Haus der Diakonie da hätte gestanden: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Mit einem Mal kam Bewegung in die Expertenrunde. Die Lage war nach wie vor nicht brillant, aber die Stimmung änderte sich; und das, obwohl keiner aus der Runde sich nennenswert berührt zeigte von der christlichen Botschaft. Mit einem Male eröffnete sich für alle ein Lichtblick: Gott hat uns den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben! 

Plötzlich war diese Verheißung aus dem Brief des Paulus ganz neu in der Presse und in der Öffentlichkeit. Überraschend, wie und in welchen Zusammenhängen man es in der Folgezeit entdecken konnte. Und in der Lukaskirche ist dieses Wort vor zwei Wochen erst wieder laut geworden: Eine Konfirmandin hat es sich als Konfirmationsspruch ausgesucht.

Die Lage vorgestern war nicht brillant. Rettende Alternativen waren nicht in Sicht. Es gab keine Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Situation zu verbessern. 

Ich meine damit meinen Besuch im Krankenhaus am Freitag. Eine Frau aus der Gemeinde lag im Sterben, ein Angehöriger hatte im Gemeindebüro angerufen und um einen Besuch von mir gebeten. Ich fuhr los mit nichts in den Händen als einem Kreuz, das sich im Gemeindebüro fand. In der Klinik begrüßte mich der Angehörige. Die Frau war nicht mehr bei Bewusstsein. Ich wurde aufgefordert etwas zu sagen.

Konnte ich denn in dieser Lage Worte finden? Immerhin. Ich erinnerte mich an die vielen Gottesdienste in unserer Kirche, die die Frau mitgefeiert hat. Und so wagte ich von der christlichen Hoffnung zu sprechen; von Jesus Christus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. Und dann kamen mir – Gottseidank – die Worte für ein Gebet fast wie von selbst.

Die Lage heute stellt sich für uns unterschiedlich dar. Aber Freude am Gesang und Freude darüber, dass Emilia die Taufe empfangen hat, verbindet uns alle, denke ich. Wenn wir uns gegenseitig daran erinnern, dass Gott uns den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit geschenkt hat, dann fällt es uns auch nicht schwer Emilia ihren Taufspruch später näher zu bringen: Alle Eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. (1. Korinther 16,14) 

Die Taufe als wirksames Geschenk der Liebe Gottes ernst zu nehmen, Emilia erinnert uns daran, eine Erinnerung, die uns gut tut in diesen unsicheren Zeiten. Apropos Erinnerung:

Die Gründer der alten Lukaskirche haben 1901 auf dem alten Taufstein die vier Kardinaltugenden verewigt: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und die Mäßigung; sozusagen das Gegenstück zur Besonnenheit, von der Paulus spricht. 

 

Wir beten:

Du schöpferischer Gott, belebe uns durch deinen Geist, denn du hast uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 

AMEN

P. Dr. Bogislav Burandt