Predigt über Ps 20,3

3Er sende dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion! 

Psalm 20,3

Der Gedenktag der Reformation, liebe Gemeinde, steht für mich noch immer im Bann des großen Jubiläums von 2017: Seither haben wir den Reformationstag als staatlichen Feiertag. Die meisten von Ihnen wissen: Ich persönlich bin ja nun der Kirchengeschichte sehr zugetan. Ich also habe nachgedacht, was denn in diesen Tagen vor 500 Jahren in Wittenberg so passiert ist. 

Und da hatte ich eine Idee und kramte ein altes Buch hervor. Ich habe es selber geschrieben. Und so stellte ich fest, dass Martin Luther damals unter anderem am Schreibtisch beschäftigt war mit der Auslegung von Psalm 20. Wir haben den Psalm zu Beginn im Wechsel gesprochen. Als ordentlicher Professor erklärte Dr. Martin Luther den Psalm seinen Studenten und versuchte zugleich ihn in seiner gegenwärtigen Bedeutung zum Leuchten zu bringen. Denn er war überzeugt: Die Psalmen sind hochaktuell!

Der Heilige Geist, der damals den Psalmdichter beflügelt hat, er weht auch heute und bringt die Botschaft an die Frau und den Mann!

Luther war grundsätzlich der Ansicht, dass der Psalm 20 eine fromme Obrigkeit in den Blick nimmt, einen König etwa, der sich für sein Volk verantwortlich weiß. Wir würden vielleicht eher an eine Kanzlerin, einen Ministerpräsidenten oder einen Oberbürgermeister im ersten Moment denken. Allerdings: In einer Demokratie hat jeder eine Stimme, schon von daher dürfen wir vieles aus dem Psalm auch auf uns beziehen. Insbesondere fasziniert mich Luthers Nachdenken über den Vers 3: Er sende dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion.

Gott wohnt mitten in Israel im Tempel von Jerusalem auf dem Berg Zion, von dort her soll er gemäß der Psalmbitte Unterstützung und Hilfe beibringen. Luther versteht das so, dass Gott die Seinen von innen her schützt und stärkt. An und für sich verhält es sich ansonsten mit der Welt anders: Die Menschen wollen immer bequem von außen her Hilfe und Unterstützung erfahren. In der Geschichte des alten Israel ist das freilich regelmäßig schief gegangen; sowie man in Israel versucht hat, sich auf Assyrien oder Ägypten zu stützen, kam die politische Katastrophe. 

Er sende dir Hilfe vom Heiligtum. Das Heiligtum ist ein besonderer Ort, er steht für das Abgeschlossene, das Unsichtbare, zumal in das Allerheiligste nur einmal im Jahr der Hohepriester eintreten durfte. Luther meint, die äußeren Sinne gelangen dort nicht hin und die Vernunft könne einen solchen Ort nicht begreifen. Von daher weise das Wort „Heiligtum“ auf Gott hin, der allein im Heiligtum wohne. Und das sei als Fingerzeig für den Glauben zu verstehen, der glaubt, was er nicht sieht und tapfer Hilfe erwartet, auch wenn er nicht weiß, woher sie kommt.

Der Psalmvers fordert dazu auf, nicht von sich wegzulaufen, sondern in sich die Stärke des Herrn zu erwarten. Durch Standhaftigkeit im Glauben an den Namen des Herrn gelänge der Sieg, das Herz müsse vom Himmel her gestärkt werden. Luther meint: „So nämlich schützt Gott einen jeden Menschen, der sein ist, aus diesem selbst und nicht durch die Hilfe der Menschen.“ [WA 5,570,26/27] 

Wer hätte gedacht, liebe Gemeinde, dass Luthers Auslegung des Psalms vor 500 Jahren so dermaßen aktuell sein kann! Denn wenn mir in der nächsten Woche Kontaktbeschränkungen auferlegt werden, wenn Menschen nicht so ohne weiteres zu mir gelangen dürfen, dann bin ich doch geradezu darauf angewiesen, in mir die Stärke des Herrn zu erwarten, wenn ich nicht verzweifeln will! 

Immerhin. Das Bundesgesundheitsministerium schickt zur Zeit in den sozialen Medien nicht mehr nur bis zum totalen Überdruss die Hinweise herum, man solle die Maske tragen, Hände waschen und Abstand halten. Vorgestern habe ich Hinweise gelesen, dass die neuen Maßnahmen seelisch anstrengend seien und von daher kontaktloser Kontakt zu anderen Menschen und auch Sport wichtig seien! 

Endlich, liebe Gemeinde, endlich ist seelische Widerstandskraft in Zeiten von Corona mehr als nur ein Randthema in der Öffentlichkeit! Was öffnet mein Herz und macht es empfänglich, damit es mit Gottes Hilfe Stärke empfangen kann? Das ist als Frage m.E. genauso wichtig wie die nach Immunsystem, Vitaminen und Grippeimpfung. Denn Panik und Angst schädigen das Immunsystem!

An Pfingsten, liebe Gemeinde, haben wir uns einen Moment im Gottesdienst Zeit genommen, aufzuschreiben, was uns in den Wochen der Kirchenschließung geholfen hat. Jetzt kommt es darauf an, sich an die eigenen positiven Erfahrungen wieder zu erinnern: Und auch an die spirituellen Erlebnisse, die an der eigenen Innenwelt gebaut haben und damit zur Abwehr von Anfechtung und Einsamkeit beigetragen haben!

Am heiligen Ort begegnen Kunst und Musik; sich ihnen bewusst auszusetzen erhöht die Chancen geistliche Stärkung für das eigene Herz zu bekommen. Und warum nicht mutiger als normalerweise das eigene Herz am Telefon öffnen? Was könnten wir verlieren? Könnten wir nicht eher Freundschaften vertiefen, wenn wir uns austauschen über Ängste und Verunsicherungen? 

Und dann: Nehmen wir uns ausdrücklich jeden Tag einen Moment Zeit, um von Gott her Stärkung und Hilfe zu erbitten. – Ausgerechnet unser neuer vierpfotiger Mitbewohner ist mir da ein Vorbild. Seit über einen Monat leben meine Frau und ich nun mit Gustav, einem knapp einjährigen roten Kater. Der maunzt wenn ich aufgestanden bin deutlich, will aber nichts zu essen sondern vorm Frühstück erst eine ausführliche Streicheleinheit. Vielleicht könnte ja ein Morgengebet oder ein wenig Lektüre in der Bibel mir mit Gottes Hilfe zu einer ähnlich nachhaltigen Streicheleinheit verhelfen! 

Und schließlich ist es äußerst wichtig, sich die Perspektive zu erhalten. Martin Luther etwa meinte: Wir dürfen zuversichtlich in die Vergangenheit blicken: Gott hat uns in Jesus Christus von Hölle, Tod und Teufel erlöst. Und wir dürfen hoffnungsvoll in die Zukunft auf die Auferstehung am Jüngsten Tage blicken. Also gilt es mit derselben zuversichtlichen Einstellung der Gegenwart zu begegnen. „Allein dem Glauben, der auf Gott hofft, ist es möglich, ein Triumphlied vor dem Sieg zu singen,“ [WA 5,578,36/37] schrieb Luther in der Auslegung von Psalm 20. 

Eine Psychologin von heute sagt es so: 

Ganz wichtig! Vertrauen Sie immer darauf: Alles wird gut!!!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

AMEN

P. Dr. Bogislav Burandt