Predigt über Lk 11,1-13


am Sonntag Rogate 2022

1 Und es begab sich, dass er an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. 2 Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. 3 Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag 4 und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. Und führe uns nicht in Versuchung.

5 Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Lk 11,1-13 (Lutherbibel)

Liebe Gemeinde,

vor ungefähr zwar Monaten traf ich meinen Nachbarn im Treppenhaus vorm Aufzug. Er wohnt in der Etage über uns. Der Aufzug geht allerdings nur bis in den 4. Stock zu unserer Etage. Mein Nachbar rief mir zu, ich möge doch bitte beten, dass Wladimir Putin nicht in die Ukraine einmarschiere. – Mein Nachbar bezeichnet sich als säkularer Moslem, natürlich ist mein Beruf ihm nicht unbekannt. Ich rief zurück, dass ich um Frieden beten würde. 

Das tat ich bereits sowieso. Aber ich fand es zusätzlich alarmierend, von meinem Nachbar noch zusätzlich beauftragt worden zu sein. War die Situation für ihn so aussichtslos, dass er den Pastor als Fachmann für hoffnungslose Fälle ansprach?

Aber nein. Von „hoffnungslosen Fällen“ mag bei der Polizei oder bei anderen Institutionen die Rede sein; solange ich an den Gott der Liebe und des Lebens glaube, werde ich mir die Hoffnung von nichts und niemandem nehmen lassen; schon gar nicht von Wladimir Putin! Das schützt mich nicht vor Enttäuschungen, es macht mich nicht immun gegenüber Anflügen von Depression. Aber es macht mich nicht mundtot und stumm! Immerhin: Seit der Begegnung mit meinem Nachbarn, da kommt mir ein Stoßgebet um Frieden sogar im Aufzug unseres Hauses über die Lippen! 

Jemand anderen um ein Gebet bitten. Immer wieder kommt das vor. Und so auch damals, als die Jüngerinnen und Jünger Jesus um Worte baten für das Gespräch mit Gott. Sie hatten erlebt, wie Jesus sich an Gott gewandt hatte im Gebet und waren davon beeindruckt. 

Wer betet meint es ernst: mit sich, mit der Welt, mit Gott. Mit Beten verbindet sich eine eigene Ernsthaftigkeit, eine Ernsthaftigkeit, die dieser Welt zugute kommt. Das Gebet weitet den eigenen Horizont hin zu dem, von dem alle Horizonte herkommen und bei dem es keine hoffnungslosen Fälle gibt. Beten ist daher von vornherein eine Tätigkeit, die einen durch die Ausrichtung auf Gott von sich selber befreit. Und darum ist Beten so wichtig und hilfreich! 

Jesus lässt sich von seinen Freunden nicht lange bitten und ermutigt zum Beten. Zunächst lehrt er sie das Vaterunser. Zuzugeben ist: Die Worte klingen in unserem Lukasevangelium etwas anders als wir es von dem Evangelisten Matthäus oder von unseren Gottesdiensten her gewohnt sind. Das braucht uns aber nicht verunsichern. Bei anderer Gelegenheit könnte ich dazu etwas sagen.

Jesus belässt es aber nicht bei Gebetsworten. Schon damals kam nämlich die Frage auf: Ja, hört denn der große Gott überhaupt auf das, was wir bitten? Oder sind wir nicht viel zu klein und unbedeutend, als dass Gott uns hören könnte?

Jesus erzählt gegen solche Einwände und Ängste die Geschichte vom bittenden Freund: Mitten in der Nacht klopft jemand an die Tür seines Freundes, um Brot zu erbitten, weil er ganz plötzlich einen hereingeplatzten Freund bewirten muss. Gastfreundschaft ist im Orient heilig. Völlig klar: Unter allen Umständen muss erstens ein Freund aufgenommen werden und zweitens muss man ihm Essen vorsetzen!

Natürlich hat zur Zeit Jesu keiner geplant, bei irgendjemandem spät in der Nacht anzukommen. Womöglich gab es bei dem Überraschungsgast zuvor einen Überfall oder sonst eine Katastrophe. Da können wir unsere Phantasie schweifen lassen. 

Der Überraschungsgastgeber klopft bei seinem Freund an. Und dann? In der Nacht möchte niemand gestört werden. Da ist mit Begeisterung für eine Hilfeleistung nicht zu rechnen. Jesus sagt: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.

Mit Gott verhält es sich wie mit einem Freund, sagt Jesus. An Gott dürft ihr euch jederzeit mit euren Bitten wenden; wenn ihr euch auf die Suche nach ihm begebt, wird er sich finden lassen und in eurer Not dürft ihr jederzeit bei ihm anklopfen! 

Wie aufregend! Der allmächtige Gott, der Schöpfer des ganzen Weltalls, dessen Größe und Erhabenheit unser Vorstellungsvermögen übersteigt, er will uns ein guter Freund sein! – Auch die Anrede von Gott als Vater (mit Blick auf die Wortwahl Jesu könnte man sogar übersetzen ‚unser Papa im Himmel‘) auch sie bringt ganz überraschend Gott in die Nähe meiner Bitten, Fragen und Nöte.

Und ausdrücklich vergleicht Jesus Gott mit einem Vater, der seinem Kind vernünftige Lebensmittel vorsetzt, wenn es ihn darum bittet. - Gott ist ein Freund, ein liebender Vater. Mit allem Nachdruck kommt es Jesus darauf an, uns klarzumachen, wer der ist, dem unsere Gebete gelten! Ich trete ja ernsthaft nur mit jemandem in Kontakt, den ich kenne und von dem ich etwas erwarten darf. Das aber dürft ihr von Gott, ruft Jesus uns zu.

Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan. Und wer behauptet Gebete würden nie erhört? Bitten, Suchen, anklopfen, empfangen, finden, auftun – über 600.000 Menschen haben dies erlebt; dies ist zurzeit die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine bei uns. - Und wenn wir an die Nachrichten von gestern denken, dann kommt es uns doch durchaus so vor, als sei das eine oder andere Gebet erhört worden. Ausgerechnet der Ministerpräsident von Nord-Rhein-Westfalen sprach von einem Wunder: Ein Tornado fegte durch Paderborn, aber es gab „nur“ – in Anführungsstrichen – 43 Verletzte (so der Stand heute morgen) … 

Beten heißt freilich nicht nur Bitten! So wie ich einen guten Freund mit meinen Klagen behelligen darf, so darf ich dies auch gegenüber meinem himmlischen Vater tun. Die Psalmen, das Gesang- und Gebetbuch des alten Israel, sind voll von Klagen. Und nicht zu vergessen sind neben Bitten und Klagen auch die Fürbitte für andere Menschen sowie Lob und Dank gegenüber Gott. In der Epistellesung haben wir davon gehört. – Beten, auch dafür gibt es im Kirchenraum unseren wunderschönen Gebetsleuchter. 

Beten ist keine Hexerei, es ist nicht schwierig. Martin Luther meinte: „Wie ein Schuster einen Schuh macht und ein Schneider einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist Beten.“

Unser Lukas, der Evangelist, hat an das Ende unseres Textes die Verheißung Jesu gesetzt, dass der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen gibt, die ihn bitten. Gemeint ist: Der Heilige Geist schenkt Kraft und Zuversicht auf Gottes Fürsorge zu vertrauen, was auch immer geschieht. Beten geschieht immer durch den Heiligen Geist und in der Hoffnung auf seinen Beistand.

Gnädiger, barmherziger Gott, der Du niemanden übersiehst, gib uns den Heiligen Geist, damit wir mutig und frei werden, Dir alles zu sagen, was uns bewegt.

AMEN

P. Dr. Christian Bogislav Burandt