Predigt über Phil 4,4-7


am 4. Advent in der Lukaskirche 2022

4 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! 5 Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! 6Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! 7Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Phil 4,4-7

Begegnungen, liebe Gemeinde, gehören zur Adventszeit. Aus gutem Grund gibt es so viele Treffen von Kreisen, Gruppen, Vereinen und Firmenangehörigen in dieser Zeit. Besondere adventliche Begegnungen haben ihren eigenen Charme; einen Charme, der nach vorne weist.

Vorgestern traf mich meine Nachbarin vor unserem Haus. Von Beruf ist sie Krankenschwester im Moment aber mit dem zweiten Kind im Mutterschutz. Fröhlich begrüßte sie mich und fragte, wie es mir ginge. „Na ja“, antwortete ich. „Gesundheitlich kann ich nicht klagen. Ich habe keine Erkältung. Aber an meinem Arbeitsplatz ist es bitterkalt. Seit zwei Wochen ist die Heizung kaputt. Die Temperatur in meinem Arbeitszimmer liegt bei 5 Grad, mit Heizlüfter bei maximal 10 Grad.“ – „Da können Sie sich ja freuen über ein Super-Immunsystem!“, meinte meine Nachbarin. „Meine Kinder sind seit drei Wochen krank, stecken sich untereinander immer wieder an. Jede Woche bin ich beim Kinderarzt!“ 

Richtig nachdenklich ging ich daraufhin in meine Wohnung. Bin ich vor lauter Arbeiten, Sorgen und Befürchtungen blind gegenüber der Freude? Brauche ich den Fingerzeig von außen, um Gründe zur Freude zu entdecken? Oder hänge etwa auch ich der falschen Annahme an, Freude hätte nur etwas mit eigener Leistung zu tun?

Ich dachte dann an den biblischen Text für heute. „Freuet euch!“ hatte der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde in Philippi geschrieben. Also war er der Meinung, es gäbe für Christen Grund zur Freude. Ich versenke mich in das urchristliche Schreiben und begegne dem Apostel.

Verwundert reibe ich meine Augen. Denn die Umstände beim Apostel sind alles andere als erfreulich. Paulus sieht recht übel zugerichtet aus, er befindet sich im Gefängnis. „Aber Paulus, du kannst doch, bei dem was du gerade erlebt hast, nicht von Freude schreiben?“, rufe ich aus! „Und warum nicht?“, fragt der Apostel zurück. „Was ist denn wichtiger? Dass mich irgendwelche unwissenden Heiden hier misshandeln und herumschubsen oder Jesus Christus?“ „Na, ja“, antworte ich. „Aber Dein Los im Gefängnis ist doch schrecklich!“ Paulus guckt mich scharf an: „Willst Du Dich vom Mangel leiten lassen? Oder von der Orientierung an Defiziten anstelle der Gnade? Jesus Christus lebt, er ist mir nahe, von ihm lasse ich mich bestimmen!“ erklärt Paulus, „Und darum freue ich mich!“

Ja, also. Ich denke nach. Wo Paulus Recht hat, hat er Recht. Wenn ich nur auf das schauen würde, was ich alles nicht kann und was schief läuft in der Welt und auch in meinem Leben, dann wäre ich verloren. Aber so einfach sich freuen? 

„Warum nicht sich einfach über das Kommen Jesu Christi freuen?“, fragt Paulus zurück. „Es geht doch darum, wo Du Dich verankerst! Du bist ein Christ. Anfeindungen, Krankheiten, dunklen Gefühle und bösen Erfahrungen haben keine Macht über Dich, weil Du aus der Freude leben darfst; aus der Freude über die Nähe dessen, der heilt und Heil bringt, über Jesus Christus!“

„Aber dann sind ja – äh – Freude und Gnade sozusagen zwei Seiten einer Medaille“, gebe ich dem Apostel zurück. „Du hast es erfasst!“, antwortet der Apostel geradeheraus. „Endlich ist der Sesterz bei Dir gefallen!“ – Der Sesterz? Ach richtig. Der Sesterz war der Groschen in der Antike …

Einfach sich freuen. Ich mache mich auf den Weg zu Besorgungen. Auf dem Weihnachtsmarkt bleibe ich vorm Karussell stehen. Zwei Kinder fliegen in einem Flugzeug und strahlen vor Freude. „Komm doch auch dazu!“, rufen sie ihrer Mutter zu. Wer sich freut, möchte, das andere sich mitfreuen. Wer sich ehrlich freut, meint es gut mit anderen. Eine solche Freudenquelle ist also nach Meinung des Paulus der christliche Glaube. Der Liederdichter Paul Gerhardt dichtete Folgendes: „Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein. Ist voller Freud und Singen. Sieht lauter Sonnenschein. Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ, das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.“

Der christliche Glaube als Quelle von Freude. Das hat Auswirkungen. Darum also schreibt Paulus: Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Freude führt zum Tun des Guten. Freude weiß um Dankbarkeit. Und darum meint Paulus, dass unser Flehen und alle unsere Bitten zu Gott nicht in Verzweiflung untergehen sondern auf Dankbarkeit aufruhen. Verstehe ich das immer? Der Alltag mit seinen Niederungen und Tiefschlägen, so manches Mal droht er mich in den Schatten zu stellen. Dann also hin zum Licht der Gnade, die Jesus Christus schenkt; auch wenn mir das hier und da zu hoch ist.

Apropos zu hoch. Wie lautete doch da der letzte Satz unseres Predigttextes, den der Lektor vorgelesen hat? Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. – Ich bin entrüstet. Wie bitte, das kenne ich aber anders! Ich vertiefe mich in die Bücher und begegne einer Professorin für das Neue Testament.

„Guten Tag! Entschuldigen Sie, wie kann das sein? Die Lutherbibel von 2017 ist verändert gegenüber der Vorgängerin. Habe ich jetzt etwa 25 Jahre nach Predigten was Falsches gesagt?“ – Die Professorin versucht mich zu beruhigen: „Herr Burandt, schauen Sie doch mal in Ruhe in den griechischen Urtext. Welches Tempus sehen Sie bei dem Verb „bewahren“?“ „Futur. Zukunft,“ gebe ich zu. „Eben!“, antwortet die Professorin. „Martin Luther hat sich bei seiner Wiedergabe des Textes an dieser Stelle an der lateinischen Version der Bibelübersetzung orientiert. Aber richtiger ist natürlich der Urtext. Oder?“

Das muss ich zugeben. „Im Zusammenhang eines Gottesdienstes“, fährt die Professorin fort, „kann die alte Fassung dieses Grußes sinnvoll sein und die Menschen mitnehmen. Es kann aber auch einmal die jetzige Fassung dieses biblischen Wortes angemessen sein!“ – Ich räuspere mich: „Sie meinen heute am 4. Advent?“

Die Professorin nickt: „Der Friede Gottes wird so sicher schützen wie die Geburt des göttlichen Kindes durch Maria gewiss ist. Das Evangelium haben Sie ja gehört!“

Jetzt bin ich es; der nickt. Ich gebe dem Apostel Paulus das letzte Wort: „Und der Friede Gottes, der höher ist als all eure Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

AMEN

P. Dr. Christian Bogislav Burandt