Predigt über Lukas 5,1-11


5. Sonntag nach Trinitatis am 12.7.2020

Liebe Gemeinde,

kennen Sie einen „Seehundjäger“? Wissen Sie, was das ist: ein „Seehundjäger“? Ich jedenfalls wusste es nicht. Vom einfachen Wortlaut war ich zunächst entsetzt. Seehunde gehören nicht zu den Tieren, die gejagt werden sollten, finde ich; höchstens bei den Eskimos würde ich da eine Ausnahme machen. Aber nicht bei uns in Deutschland! 

Skeptisch blickte ich also in der zurückliegenden Woche in die Zeitung. Und dann lernte ich: „Seehundjäger“ ist heute ein Ehrentitel, den rund 50 Ehrenamtliche tragen. Aber er hat mit der Jagd auf Seehunde gar nichts zu tun. Im Gegenteil! Seehundjäger sind in ihrer Freizeit unterwegs, um Seehundbabys zu retten, die von ihren Müttern getrennt wurden. Seehundjäger sorgen dafür, dass die Heuler in die Seehundstationen kommen und dort aufgepäppelt werden, bis sie wieder in die freie Wildbahn entlassen werden können. Seehundjäger sind also genau genommen Robbenretter!

Vor 100 Jahren mag das an der Küste von Schleswig-Holstein anders gewesen sein. Aber heute verbirgt sich unter dem uralten Titel „Seehundjäger“ eben ein Seehund-Rettungsprogramm! 

Ganz ähnlich, liebe Gemeinde, verhält es sich mit Fischern. Genauer gesagt mit den Menschen-Fischern im Namen Jesu! – Wenn Jesus zu Petrus am Ende des Evangeliums, das wir gehört haben, sagt: „Von nun an wirst du Menschen fangen“, dann verbirgt sich dahinter eben nicht eine Jagd auf Menschen, wie wir sie in viel zu vielen Ländern der Erde beobachten müssen, sondern ein Menschen-Rettungsprogramm! 

Der Rattenfänger von Hameln verführte Menschen, um sie seinen Zwecken dienstbar zu machen. Das zeichnet seine Nachfolger bis heute aus: Auch die modernen Rattenfänger - ob rechtsextrem, linksextrem oder islamistisch – auch die wollen, dass Menschen sich ihren politischen Ansichten unterwerfen: Die Menschen sollen schlicht Befehle ausführen und willenlose Schachfiguren in ihrem Spiel um die Macht werden. 

Jesus will das nicht. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganz Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Jesus will die Menschen aus ihren selbst gegrabenen Gruben befreien. Er will die Menschen auf Gott hin ausrichten, um sie der Liebe Gottes teilhaftig werden zu lassen – bis in Ewigkeit. 

Ausrichtung auf Gott. So fängt ja die Geschichte an: damit, dass Jesus zu einer Menschenmenge am Ufer des Sees Genezareth redet und ihnen das Wort Gottes sagt. Jesus bietet keine Zerstreuung oder belanglose Unterhaltung. Er redet von Gott; und das so, dass die Menschen merken: In Jesu Worten spricht Gott selber zu mir, sagt mir seine Gnade an – gegen alle Gnadenlosigkeit die ich erfahre oder wahrnehme! Jesus teilt die Gnade und Barmherzigkeit Gottes aus, so dass die Menschen gestärkt und erneuert werden in ihrer wichtigsten Beziehung: in ihrer Beziehung zum Gott des Lebens! 

Jesus spricht dabei nicht mit erhobenem Zeigefinger. Man kann durch ihn Gott vernehmen, auch wenn man gerade putzt oder etwas repariert; wie es z.B. ein gewisser Fischer mit Namen Simon gemacht hat. Der hat erschöpft von erfolgloser Nachtarbeit auf seinem Boot gesessen, das Netz gereinigt und geflickt. Und er hat eher so nebenbei mitgekriegt, was Jesus zu den Menschen gesagt hat. Jesus bittet Simon um einen Fahrdienst. Er möchte ein wenig vom See aus zu den Menschen sprechen. Simon macht das, er nimmt Jesus an Bord. Aber dann schließt Jesus seine Rede ab. Er wendet sich Simon zu und fordert ihn auf rauszufahren und an der tiefsten Stelle zu fischen. – Wohl dem, der mitten in seiner alltäglichen Arbeit sich von Jesus Christus unterbrechen lässt. Wohl dem, der auch nach bitterer Enttäuschung seine oder ihre Ohren nicht verschließt. Wohl dem, der oder die der eigenen Erschöpfung nicht das letzte Wort gibt! 

Der Fischer Simon, wir kennen ihn als Petrus, gibt Jesus Antwort und weist auf die eigene vollständige Erfolglosigkeit hin. Aber dann sagt er doch: Auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. In den Worten des Simon klingt der Zweifel mehr als deutlich heraus. Aber warum sich nicht von Jesus etwas sagen lassen? Warum nicht auf seine Verheißungen setzen? Warum nicht auf sein Wort bauen? 

Simon tut dies und riskiert, sich zum Gespött zu machen, weil er sich von einer fachfremden Landratte bei Tag auf den See rausschicken lässt. Fischen ist doch Nachtarbeit! Aber auch wenn er in seinem Herzen nicht überzeugt ist, Simon scheut das tiefe Wasser nicht und fährt raus. Und da passiert es. Das Netz ist voll. Der Fischfang verspricht reichhaltig zu werden, wenn man klug zu Werke geht. Simon winkt den Kumpanen in einem anderen Schiff zu Hilfe. Ganz bewusst ruft er nicht laut: Denn das würden die Fische hören. Die Berufskollegen verstehen, sie kreisen von ihrer Seite die Fische ein, und erst dann werden die Netze eingeholt. 

Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen: Ein solcher Fang ist unfassbar, entspringt nicht den Gesetzmäßigkeiten menschlicher Klugheit. Dem Simon fällt es wie Schuppen von den Augen: Er steht dem Gott des Lebens und der Liebe nicht nahe, er steht nicht in Kontakt zur Fülle des Lebens, und das heißt: Er ist ein sündiger Mensch. Nicht die eigene schlechte Tat oder das Versagen in einer kritischen Situation führen hier zum Sündenbekenntnis. Es ist die überwältigende Fülle, die von Gott herkommt, die macht dem Simon sein Getrenntsein von Gott, seine Sündhaftigkeit deutlich. Diese tiefere Wahrheit hat er erkannt und bekannt. Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. – 

Wenn Jesus die Fülle Gottes nahe bringt, gehört er auf die Seite Gottes. Und darum fällt Simon Petrus vor ihm nieder in jenem Erschrecken, mit dem die Menschen der Bibel auf den lebendigen Gott reagieren. Für den Simon persönlich ereignet sich das eigentlich Wunderbare erst noch. Jesus sagt zu ihm: 

Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.

Das Wunderbare ist, dass Jesus das Gegenteil von dem tut, was Simon sagt. Jesus geht nicht von ihm weg, er ruft den Simon zu sich! Um es mit einem Fernseh-Slogan zu sagen: Simon Petrus ist kein Star, aber Jesus holt ihn heraus. Petrus ist ein Sünder, mit wenig Erfolg, mit wenig Begabung, mit wenig Gottesfurcht, aber Jesus macht ihn zu seinem Jünger. Die große Menge an Fischen steht als Bild für den Segen, den Petrus empfängt und weitergeben soll; durchaus vergleichbar mit der Verheißung des Segens an Abraham. 

„Menschen fangen“; das griechische Wort meint im Blick auf die Menschen meint nicht nur lebendig gefangen nehmen, sondern hat auch den Sinn von „beleben“ oder von „wieder beleben“. Andere Menschen für Jesus gefangen nehmen, heißt sie zu beleben, sie wieder neu aufleben zu lassen, sie zu befreien! – Das bestätigte mir ein Mann mittleren Alters, der – mit Nase-Mund-Schutz – am Freitag in mein Büro stürmte. Weder sein Name noch sein Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Aber er, ein Mann aus dem Iran, legte mit Feuereifer los: Ich hätte ihn doch vor 20 Jahren getauft! Und jetzt seien seine Schwester und ihr Mann aus dem Iran zu ihm gekommen und wollten getauft werden. Und da hätte er gleich gedacht: nichts wie hin in die Lukaskirche...

Jesus Christus ist unser Erlöser: Egal wo wir gerade stecken, in welchem Schlamassel wir uns befinden, in welcher Tinte wir sitzen, welche Erfolglosigkeit auch immer uns zu schaffen macht, welche Erschöpfung uns plagt, welche gesundheitliche Einschränkung uns bedrängt: wir Sünderinnen und Sünder dürfen wissen: Er holt uns heraus.

AMEN 

 

P. Dr. Bogislav Burandt