Predigt über Jesaja 5,1-7

1Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. 3Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? 5Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. 7Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Jesaja 5,1-7

Liebe Gemeinde!

Wer sich anstrengt, hat Entspannung verdient. Davon sind wir überzeugt. Saure Wochen, frohe Feste, das ist die Abfolge, die wir als normal und angemessen empfinden. Wer hart gearbeitet oder gelitten hat, der darf anschließend einen drauf machen. Das war übrigens auch damals schon so im alten Israel.

Nach harten Arbeitswochen gab es da endlich das ersehnte Fest in der Nähe von Jerusalem. Und der Wein floss in Strömen! Gute Unterhaltung durfte natürlich nicht fehlen, und man ließ einen jungen Mann als Bänkelsänger auftreten.

Ich weiß nicht, ob der so eine komische Frisur hatte wie jener junge Mann, der nun Deutschland beim nächsten Eurovision Song-Contest vertreten soll, aber sein äußerer Aufzug war schon recht merkwürdig. Dieser junge Mann mit Namen Jesaja kündigte als Titel an „ein Lied über einen Weinberg“.

Da waren alle gleich ganz Ohr. Denn es waren viele auf dem Fest, die die Arbeit gemachten hatten, die Weinberge beackert und beharkt hatten, die den Wein geerntet und gekeltert hatten. Menschen, die sich mit der Winzerei auskannten. Und die freuen sich, wenn jemand ihre harte Arbeit lobt und besingt. Nach einer guten Ernte, nach einem großen Wurf ist ein Lob durchaus am Platze, dachten die Menschen beim Hören des Titels.

Das ‚Lied über einen Weinberg‘, das weckte freilich auch noch andere Gedanken. Durchaus in die Richtung: „Wein, Weib und Gesang soll dich erfreun‘ dein Leben lang.“ Beim Stichwort Weinberg dachte man im alten Israel auch an die Liebe. Denn mit einem ‚Weinberg‘ verglich der Liebhaber gerne seine Braut. Also: Noch bevor der Sänger auf dem Fest loslegte, waren alle höchst aufmerksam dabei.

Jesaja erzählte von einem Freund, der einen Weinberg auf einer fetten Höhe besaß: Fruchtbarkeit der Erde und sonnige Aussichten. - Das sind schon einmal beste Voraussetzungen. - Mit viel Liebe kümmert sich der Freund um seine Pflanzung. Da ist vom Graben die Rede und vom Wegtragen der Steine, schwere Arbeit im harten und steinreichen Boden Palästinas. Nicht irgendwelche Reben werden dort angebaut, sondern die besten; das Lied singt von edlen Reben! Für die ortsnahe Verarbeitung ist gesorgt, eine Kelter ist da und auch ein Turm, um den Weinberg vor wilden Tieren zu schützen.

Die Zuhörerinnen und Zuhörer waren begeistert. Die Worte des Sängers hatten einen rhythmischen Schwung, der noch heute jeden Professor fürs Alte Testament mitreißt! (Kann ich nach meinem Göttinger Studiensemester frisch bezeugen!) Die Melodie war ebenfalls ansprechend gut. Und dann der Inhalt: Was für ein tüchtiger Winzer! Dem flogen beim Vortrag gleich alle Sympathien zu. Der Weingärtner bemüht sich in Liebe um seinen Weinberg.
Im Lied kommen beide Ebenen zum Zuge: die der Arbeit und die der Liebe. Herz was willst Du mehr?

Wir, liebe Gemeinde, tun gut daran, die Welt der Arbeit und der Liebe nicht fein säuberlich voneinander zu trennen. Wie soll denn die Arbeit gedeihen, wenn ihr jede Liebe fehlt? Wenn aber Herz und Engagement dabei sind am Arbeitsplatz, zu Hause oder in der Gemeinde, dann haben alle Unternehmungen den richtigen Schwung! Auch das andere freilich gilt: Wirkliche Liebe macht Arbeit! Liebe erfordert durchaus auch Arbeit und Anstrengungen des Herzens. Klar: Überanstrengung kann Liebe töten, aber Faulheit eben auch. Jedes Liebesverhältnis muss verarbeitet und bearbeitet werden, wenn es Bestand haben soll. Wer in der Liebe sich vor jeder Arbeit und Anstrengung scheut, ruiniert das, was er haben will. Faule Liebe ist lieblose Liebe. Denn sie missachtet den Partner oder die Partnerin, die man angeblich liebt.

Wie gesagt: Die Zuhörer des Jesaja waren begeistert vom Tun des liebevollen Weingärtners, aber dann die bittere Wendung. Alle Arbeit erwies sich als vergebliche Liebesmüh! Die Trauben waren sauer und ungenießbar! Empörend! Die Zuhörer wurden ebenfalls sauer. Was 3 sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg? fragte der Sänger und alle riefen empört „Nichts“! Ein solcher Weinberg hat nichts, aber auch gar nichts mehr an Mühe verdient.

Mit diesem Urteil freilich hatten sich die Zuhörer selber verurteilt. Ohne das Lied zu durchschauen haben sie Gott, den Weinbergbesitzer gerecht gesprochen: Gott hat alles getan, was man von ihm erwarten konnte. Der Weinberg mußte nur noch ganz selbstverständlich durch die Früchte zeigen, daß er ein Weinberg ist! Aber die Menschen tun das Selbstverständliche nicht. Wie schrecklich!

Wenn es um das Verhalten der anderen geht, sind wir mit der Empörung schnell zur Stelle: Leider gibt es derzeit so viele Gründe sich über alles und jedes zu ärgern und zu empören, dass wir kaum wissen, wo wir anfangen sollen. Nebenbei bemerkt: Unsere Veranstaltung hier heute morgen ist ordnungsgemäß mit Hygienekonzept usw. durch den Pfarramtssekretär beim Ordnungsamt angemeldet worden, und das Ordnungsamt hat das ordnungsgemäß per Mail bestätigt…

Freilich: Über uns selbst empören wir uns nicht, die Wortbildung Selbstempörung existiert nicht! Der Prophet Jesaja griff nicht ohne Grund zum Mittel der Verfremdung, um dem auserwählten Volk Gottes klarzumachen: das, worüber du dich empörst, das bist du selbst! - Rechtsbruch statt Rechtsspruch, Geschrei über Schlechtigkeit statt Gerechtigkeit, die Anschuldigungen des Jesaja wirken erschreckend aktuell! Und auch der scharfe prophetische Spiegel, „dein, euer Verhalten ist empörend“, ist heute so unangenehm wie damals!

Dann bleibt nur das Gericht? Dies schreckliche Ende des Weinbergs, daß er verwüstet und sich selber alleine überlassen werden soll? Sich selbst überlassen bleiben, das ist furchtbar. An den schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft sehen wir das mit besonderer Deutlichkeit: alte Menschen, die einsam sind, und von niemandem besucht werden. Kinder, die abgestellt werden vorm Fernseher; Obdachlose auf der Straße; Menschen verschiedenen Alters, die sehnsüchtig darauf warten, angesprochen zu werden und in die Lebensgemeinschaft mit anderen hineingenommen zu werden…

Bleiben also nach Jesaja nur Strafe und Gericht? So könnte es aufgrund des Weinbergliedes den Anschein haben. Aber das ist, Jesu Christi sei Dank, nicht alleiniger Maßstab für Gottes Handeln! Die Kreuze in den Kirchen, die Passionszeit, die Hinweise auf das Leiden Jesu erinnern uns daran, daß gerade auch der schuldig gewordene sich bei Gott sehen lassen kann. Gottes Liebe wird nicht faul und lieblos, Gott sucht die Menschen, die das Selbstverständliche versäumen, um den Preis der Selbstaufgabe, um den Preis seines Sohnes.

Im Evangelium haben wir es gehört: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben [Johannes 3,16]. Der, der von allen verlassen und sich selbst überlassen zu sein schien, in ihm hat Gott eine neue Pflanzung angelegt. Christus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht... [Johannes 15,5]. Passionszeit in diesem Jahr, das ist die Gelegenheit mit Jesaja sich über sich selber zu empören! Das Erschrecken darüber, wie sehr wir es an Liebe und Gerechtigkeit vermissen lassen, kann etwas Reinigendes und Heilsames an sich haben. Und es macht Mut, den Selbstblockaden auf die Spur zu kommen, unter denen ich leide entsprechend dem diesjährigen Passionszeit-Motto: Spielraum – 7 Wochen ohne Blockaden. Passionszeit in diesem Jahr, das ist auch ein Ansporn, sich einzusetzen dafür, dass eben keiner sich selber überlassen bleibt; ein Ansporn, dass trotz Abstand Gemeinschaft verwirklicht wird auf den verschiedensten Ebenen, auch in unserer Kirchengemeinde. Passionszeit in diesem Jahr, das ist auch die Vergewisserung, dass die Wurzel uns trägt. Trotz aller Verfehlungen, Versäumnisse und Sünden, gilt eben doch, dass wir um Jesu Christi willen nicht von Gott verlassen sind. Jesus Christus ist der Weinstock und hier trifft das Sprichwort zu: in diesem Wein ist die Wahrheit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsre Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

AMEN 

P. Dr. C. Bogislav Burandt