Liebe Leserinnen und Leser,
seit Jesu Tod am Kreuz haben Menschen – inzwischen fast überall auf unserem Planeten – eine bildhafte Vorstellung davon verinnerlicht. Maler, Dichter, Komponisten - und viele Menschen, die Jesus Christus am Kreuz in ihrer Kirche begegnen.
Zum Karfreitag gehören auch Menschen, die uns ähnlich sind, ganz normale Menschen: Angehörige der Familie und Freunde, Spötter, Gleichgültige und Wegschauende, Mitfühlende und Verzweifelte, Entsetzte und Beschämte, Weinende und Kummervolle.
Und die Erfolgreichen, die Liebenden und die Enttäuschten sind natürlich dabei. Ebenso die Alten mit ihren schweren Schritten und die Geschäftigen mit ihrer Hast… Und wer Leben und Welt genau betrachtet, wird immer wieder auch Unfähigkeit zum Guten, Unwilligkeit zum Frieden und die teils katastrophal überhebliche Selbstüberschätzung entdecken – aber immer wieder auch die Sehnsucht, ein neuer Mensch zu werden.
Und der Apostel Paulus mit seiner Suche nach Sinn gehört ebenfalls dazu. Er denkt in Wegen – und nicht in Kreisen. Wer in Kreisen denkt, ist dem Prinzip der Wiederholung verpflichtet: Alles kommt wieder - und immer wieder in ähnlicher Gestalt.
Statt in Kreisen denkt Paulus in Linien, Wegen und Zielen: auf Zukunft gerichtet. Das macht Menschen bis heute zuversichtlich – selbst mitten in einer Corona-Krise, die uns nicht zu ängstlich machen soll.
Natürlich erinnern wir uns in jedem Jahr am Karfreitag an das Kreuzigungsgeschehen.
Aber Jesus wird nicht in jedem Jahr neu gekreuzigt. Wer in Wegen denkt, richtet die Aufmerksamkeit mit Zukunfts-Sinn nach vorn. Verwandlung will der Karfreitag, ein Werden über den trostlosen Tod hinaus. Hinaus auch über alles Scheitern, über alle entzauberten Hoffnungen, über alle durchkreuzten Träume, verhöhnte Ideen, enttäuschte Liebe. Hinaus über die bleiernen Schatten, die grabesschwer lasten.
Weil Jesu Tod uns hineinzieht in eine Lebensbewegung: vom alten Menschen zum neuen Menschen, von Feindschaft zur Freundschaft, von der Herrschaft der Gewalt zu den Chancen der Gewaltlosigkeit.
Solche Bewegung der Versöhnung ist lebensnotwendig: Allen Widersprüchen, Trennungen und Feindschaften zum Trotz – auch wenn es zunächst aussichtslos erscheint. Versöhnung tritt allem entgegen, was das Leben bedroht. Und dazu werden wir als Botschafter der Versöhnung gebraucht!
So klingt die Sehnsucht nach Wandel, nach Veränderung, wie Paulus sie beschreibt.
Ich empfinde sie als Sätze, die zu einer Art „Magna Charta“ unseres Glaubens gehören.
Sie sprechen die Sprache der Sehnsucht nach Heilem, nach Heilmachendem, nach Tröstlichem, nach Gutem, Aufrichtenden. Darin finde ich mein Ja zu diesem Jesus am Kreuz. Mein Ja zu diesem Jesus mit den ausgebreiteten Armen: Noch durch das Kreuz daran gehindert, die ganze Menschheit in die Arme zu nehmen. Und doch schon Lebenszeichen, Hoffnungszeichen, Versöhnungszeichen.
Damit nicht alles so bleiben muss, wie es ist.
Damit jede und jeder von uns werden kann, was wir in Gottes Augen schon lange sind.
Dazu helfe uns Gott mit einem gesegneten Karfreitag - und einem trotz allem hoffnungsvoll froh machenden Osterfest.
Stadtsuperintendent i. R. Wolfgang Puschmann