Zahlen, Daten, Fakten, liebe Leserinnen und Leser, nur das interessiert im Moment. Wieviele sind mit dem Corona-Virus angesteckt? Wieviele sind gestorben? Welche Maßnahmen führen dazu, dass die Ausbreitung des Virus sich verlangsamt? Zahlen, Daten, Fakten. Wieviel Geld ist nötig, damit die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt? Welcher Nutzen steht welchen Kosten gegenüber? Verschiedene Modellrechnungen und Statistiken sind da im Umlauf. Auf die Zahl kommt es an. Der Streit darüber in der Öffentlichkeit ist laut.
Auf die Zahl kommt es an. Das war damals nicht wirklich anders: damals beim Essen im Hause Simons des Aussätzigen, zu dem Jesus eingeladen worden war. Was Kosten und Nutzen angeht, da führen die Männer das große Wort. Doch plötzlich: mitten in das laute Getöse von Richtigkeiten, sanfte Schritte und eine leise Bewegung. Eine Frau kommt herein mit einem kostbaren Nardenöl. Sie zerbricht das Gefäß, gießt das Öl auf den Kopf von Jesus und salbt ihn. Sie sagt kein Wort, aber alle riechen den teuren Duft!
Was für eine Provokation! Eine Frau stört die Männerrunde. Und dann nähert sie sich auch noch der Hauptperson und berührt Jesus! In unseren Tagen kostet so etwas zumindest in Nord-Rhein-Westfalen 1000,-€ Bußgeld! Denn von den heutzutage erforderlichen Schutz- und Hygienemaßnahmen weiß der Evangelist Markus nichts zu berichten.
Es ist eine Geste von verschwenderischer Liebe, die die Frau ausführt. Sind die Männer neidisch auf die Frau und ihre Nähe zu Jesus? Oder betreiben Sie die Korrektheit der Zahl? Immerhin: Mit der kennen sie sich aus. Für das Geld, das die Frau bei Jesus auf den Kopf haut, davon hätte ein einfacher Arbeiter sich ein ganzes Jahr lang ernähren können!
Jesus widerspricht den Wirtschaftsweisen nicht bei den konkreten Zahlen. Aber er widerspricht im Grundsatz: Es kommt eben nicht allein auf die Zahl drauf an. Es gibt keinen Grund für die Männer die Frau zu bekümmern! Sie hat Jesus eine Liebestat erweisen und zugleich allen bis heute gezeigt, wer Jesus ist: der Gesalbte, der König, der in den Tod geht. Gesalbt wurden damals Könige, gesalbt wurden Leichname. Und Christus heißt übersetzt schlicht „der Gesalbte“.
Wenn die namenlose Frau mit verschwenderischer Liebe umgeht, dann zeigt das auch, dass sie Liebe von Jesus Christus erfahren hat. Sie weiß: Er teilt Gottes Liebe zu uns im Überfluss aus bis zum Tode. Jesus ist in Wahrheit der König, das haben die Menschen damals in Jerusalem beim Palmsonntag gefeiert. Wenn Jesus aber der König ist, an dem wir uns orientieren sollen, dann sitzen eben nicht die Zahlen auf dem Thron. Dann kommt es auf die Liebe an! Die stille Handlung der namenlosen Frau; sie bekommt in unseren harten verzweckten Zeitläuften eine ganz unvermutete politische Stoßrichtung! Es ist eben keineswegs nur das von Bedeutung, was im Moment staatlicherseits als „systemrelevant“ gilt. Der spanische Philosoph Jose Ortega y Gasset erklärt: „Zur Paradoxie des Menschseins gehört das Überflüssige als das Lebensnotwendige.“
Wir leben in einer Zeit, in der einer dem andern kaum das Mehl gönnt. Die namenlose Frau aber verschwendet und verschenkt. Sie muss nichts zurückhalten. Sie setzt auf die Liebe. Das hat sie hat von Jesus erfahren und verstanden. Und so ist sie auf ihre stille Art und Weise für uns ein Vorbild, das Sinnbild eines Christenmenschen überhaupt.
Ein kluger Theologe meint: „Menschen sind [ja] nicht nur krank, weil sie keine Liebe empfangen haben, sondern auch, weil es ihnen nicht erlaubt war Liebe zu geben, sich selber zu verschwenden.“ (Paul Tillich)
Die Frau trägt keinen Namen, das heißt: Wir können und dürfen uns mit ihr identifizieren. Auf die Liebe kommt es an. In Jesus Namen.
AMEN
P. Dr. C. Bogislav Burandt